05.10.2017

DIETER THOMAS HECK UND SEINE 40 JAHRE IM ZDF

Die Eingangshalle des Berliner Hotels "The Westin Grand" ist sechs Stockwerke hoch. Die Zimmer öffnen sich zu ringförmigen Balkonen, die ein Atrium bilden, von oben fällt wenig Licht auf ein Podium, auf dem Sofas und Sessel an niedrigen Tischen ordentlich zum typischen öffentlichen Wohnzimmer einer Luxusherberge arrangiert sind: Einladend soll die Lobby wirken, aber bitte geschmackvoll bleiben, mit der beige-braunen Eleganz des Früher-war-nicht-alles-schlecht, in der sich ein distinguiertes Klientel besonders wohlfühlt. Fast versteht es sich von selbst, dass das ZDF hier seine Stars unterzubringen pflegt.

Und als sich die Aufzugtür im hinteren Teil der runden Lobby öffnet und Dieter Thomas Heck im leuchtend roten Sakko suchend rechtsherum geht und seine Frau Ragnhild im leuchtend roten Pulli linksherum, da fragt man sich kurz, ob man in eine neue Staffel von "Lerchenberg" geraten ist, dieser Satireserie, mit der Sascha Hehn und das ZDF sich derzeit selbst auf die Schippe nehmen. Wir haben uns verabredet, weil der Sender dieser Tage sein 50jähriges Bestehen feiert, und Dieter Thomas Heck 40 davon im ZDF moderiert hat. "Schätzelein, ich hab sie schon gefunden!" dröhnt der berühmte Heck'sche Bariton vermutlich alle sechs Stockwerke hoch durch die Halle, als er die Journalistin entdeckt hat. Aber Schätzelein kümmert sich schon um den richtigen Tisch: "Hier zieht's nicht so, mein Schatz."

Schätzelein, Schatz und "mein Mädchen", wie die Journalistin im Folgenden liebevoll genannt werden wird, freuen sich gemeinsam ausgiebig über dieses nette Treffen in dieser wirklich ganz perfekten Sofaecke und beschließen frohgemut, erst einmal gemeinsam die Kuchenauswahl in Augenschein zu nehmen, die zur Kaffeezeit auf dem obligatorischen Lobbyflügel bereitsteht.

Direkt neben dem Flügel führt eine imposante Freitreppe in den ersten Stock. Oben hängt ein riesiges Aquarell von Hildegard Knef, unten steht auf dem Treppenbaluster einem Schild: "Hilde". Und der Name des Künstlers: Dieter Mammel. "Guck mal, Dieter und Hilde!" freut sich Dieter, während seine Hilde nachsichtig lächelt. Offensichtlich ist sie nur mitgekommen, um nach dem Rechten zu sehen, sie selbst will keinen Kuchen, aber seine Himbeer-Marzipantorte ("Ohh, guckt mal, die macht doch was her!") wird unkommentiert genehmigt, "mein Mädchen" entscheidet sich für eine Pfirsich-Tarte. Mit dem Ehepaar Heck hat sogar der Gang ans Kuchenbüffet etwas von fröhlichem Wanderausflug.

Nachdem wir uns wieder gesetzt haben, und nachdem auch die Getränkebestellzeremonie erledigt ist ("Ich nehme einen schönen Earl Grey" – "Ach, den nehme ich auch!" – "Ich hätte gerne einen Kaffee mit Milch" – "Einen Latte Macchiato?" – "Hmm, ja…" – "Schatz, der ist aber mit Espresso" – "Ach, dann lieber einen Kaffee mit Milch"), reden wir über die "Hitparade", die im Januar 1969 auf Sendung ging.

Als Bata Illic Hawaii am Suez-Kanal suchte

Nach den Mainzelmännchen dürfte sie die bekannteste ZDF-Marke sein – wer in den siebziger Jahren ferngesehen hat, hat die "ZDF-Hitparade" gesehen. Wenn einmal im Monat ausschließlich deutschsprachige Interpreten ausschließlich live sangen und sich dem Postkartenvotum der Zuschauer stellten, schalteten bis zu 27 Millionen ein - ja, 27, es war die Zeit vor RTL & Co.

Moderator Dieter Thomas Heck hatte eine Kolumne in der "Bravo", und für die Plattenfirmen, die in den Anfangsjahren Künstler vorschlugen, aus denen der Sender dann die Acts auswählte, war ein Auftritt derart lukrativ, dass der zuständige Redakteur wegen Bestechungsvorwürfen 1977 gehen musste. Und angeblich soll die Tatsache, dass sich in der dritten Ausgabe ein Star wie Freddy Quinn nicht gegen "Nachwuchskünstler wie Heino, Chris Roberts und Ricky Shayne" (so ein Bericht der "Fernsehwoche") hatte durchsetzen können, dafür gesorgt haben, dass auch andere Hochkaräter wie Udo Jürgens oder Peter Alexander der Sendung fortan fernblieben.

Was die mediale Aufmerksamkeit angeht, war die "ZDF-Hitparade" das RTL-Dschungelcamp der Siebziger. Nehmen wir nur die Geschichte mit Bata Illic, der, bevor er 2008 Teilnehmer des Dschungelcamps wurde, 1975 eine ZDF-Hitparade gewann. Heck erzählt: "Bata sang ,Ich hab noch Sand in den Schuhen von Hawa-haiiiiiii'" – das "-haiiii" schwebt eine Weile über dem Kaffeetisch der Lobby – "und ich wollte die Hitparade etwas aufpeppen und hab mir Fragen ausgedacht, die ich dem jeweiligen Sieger gestellt habe. Bata bekam eine Weltkarte hingestellt und sollte mir Hawaii darauf zeigen. Und da suchte er die Insel so ungefähr beim Suez-Kanal."

Die anschließende Empörung war groß – allerdings nicht über den ahnungslosen Bata Illic, sondern über Dieter Thomas Heck, der "unsere Schlagerstars bloßstellen will", wie sich Fans empörten. "Ach? Davon habe ich gar nichts mitbekommen!", wundert sich Heck. "Im Gegenteil, mir wurde immer gesagt, wie viel ich für Schlagerstars tue, und dass ich der Einzige sei, der vernünftig mit ihnen rede. Und das stimmt schon, da war ich ziemlich einsam. Was die sich zum Teil anhören mussten!" Von Hennig Venske zum Beispiel, der nach dem Ausscheiden von Chris Howland in der ARD "Musik aus Studio B" moderierte, und sie noch 2011 eine "Sendung für Blöde" nannte: "Der hat mal diese Ansage gemacht: ,Es gibt sooo kleine Würstchen. Die heißen Cevapcici. Und jetzt kommt Bata Illic.' Werde ich nie vergessen. Das war bösartig!"

"Einmal im Monat wird man sich wohl Deutsch erlauben"

Die ZDF-Hitparade hingegen war ein Kind der Liebe, der Liebe Hecks zum deutschen Liedgut. Während seiner Zeit als Moderator beim Saarländischen Rundfunk erfand er die "Deutsche Schlagerparade" – sie war der äußerst erfolgreiche Radio-Vorläufer der ZDF-Sendung: "Englische Songs behandelten doch genau dieselben Themen wie der deutsche Schlager. Aber ich wollte, dass die Menschen verstehen, um was es geht. Und die Musik nicht nur als Geräuschkulisse wahrnehmen. Die Sprache, die man im Herzen trägt, geht vom Herzen zum Herzen. Als mein Nachfolger Viktor Worms 1985 die Hitparade übernahm und auf Englisch gesungene Lieder erlaubte, ging der Reiz der Sendung verloren. Einmal im Monat wird man sich ja wohl noch Deutsch erlauben dürfen in diesem unseren Lande, um mit dem Kanzler zu sprechen."

Der Kanzler, den Heck meint, ist Helmut Kohl. Im Grunde ist Dieter Thomas Heck der Helmut Kohl der deutschen Fernsehunterhaltung. Immer da, immer gleich. Als Heck mit dem Gedanken konfrontiert wird, herrscht ein paar Sekunden andächtige Ruhe am Tisch. Ragnhild Heck ist gerührt: "Das ist ja niedlich." Dieter Heck scheint es nicht fassen zu können: "Das ist ein tolles Kompliment!"

Die Bundesrepublik war zur Blütezeit der "Hitparade" allerdings eine andere als das Deutschland Kohls. Hängt der Erfolg der Sendung mit der Sehnsucht nach einer heilen Welt inmitten der unruhigen Siebziger zusammen? Ragnhild Heck antwortet sofort: "Bestimmt!" Ihr Mann lehnt sich erst einmal zurück: "Und wenn es so wäre, wär das nicht schlimm!" Es ist die reflexartige Verteidigung derer, die sich über die "typisch deutsche" Unterscheidung von U und E zu mokieren pflegen, um sie im nächsten Moment dadurch zu zementieren, dass sie Unterhaltungsware mit der Vehemenz eines Shoppingkanal-Moderators auf Niveau quasseln wollen. Heck allerdings bleibt gelassen: "Der Schlager ist eine sehr schicke Wegwerfware, die ich heute glücklich vor mich hinpfeife, morgen kaufe, und übermorgen pfeif ich was Neues."

Rückblick
50 Jahre ZDF – Shows, Stars, große Momente
Aber durch die Privatsender sei Fernsehen sehr oberflächlich geworden, sagt Heck. "Es ist kein Tiefgang mehr da. Wir hatten ja selbst bei der ,Hitparade' Tiefgang." Da bleibt die eigene Gabel mit der Pfirsich-Tarte auf halber Strecke zum Mund ungläubig in der Luft stehen. "Bei manchen meiner Ansagen musstest du schon nachdenken – ,wie hat der Heck das jetzt gemeint?'" Während man noch krampfhaft überlegt, wie der Heck das jetzt gemeint hat, kommt seine Ehefrau zur Hilfe: "Naja... Also, ich weiß nicht… Aber ich weiß, was Du meinst, Schatz. Wenn man zum Beispiel ein Format wie ,Deutschland sucht den Superstar' nimmt..." Der Ehemann nickt heftig: "Ach Gott, ja! Was der Dieter so manchmal von sich gibt – das hätten wir nie gewagt. Wobei ich ihn sehr gerne mag, den Dieter!" Gemeint ist Bohlen.

Der Herbert, der Udo, der Kralle und ich

In der Welt des Schlagers, wo die Interpreten für den Künstlernamen einfach ihre Vornamen aneinander zu reihen pflegen, duzt man sich. Und mit der patriarchalischen Knuffigkeit des Großonkels, dem man für seinen Überschwang einfach nicht böse sein kann, schließt das allumarmende Du auch jene ein, die ihre Außenseiterrolle pflegen. Grönemeyer und Lindenberg zum Beispiel, die nie in der Hitparade aufgetreten sind: "Der Herbert hat immer gesagt, Dieter, ich singe keine Schlager. So wie der Udo: ,Du willst doch wohl nicht sagen, dass das, was ich mache, Schlager sind?' Sag ich: ,Du, die hören sich aber so an. Ist höchstens eine andere Art sie zu singen."

Die neue Deutsche Welle hingegen hatte keine Berührungsängste, sie kamen alle: "Ich hab immer vom deutschen Schlager geredet, nun hatten wir eine ganze Welle! Fantastisch! Wenn ich so an Kralle, Peter und Stefan denke – ,Da Da Da' – toll!" Dieter Thomas Heck ist wahrscheinlich der einzige, der Trio beim Vornamen nennt.

Einen aber gibt es, den nennt sogar Dieter Thomas Heck beim Nachnamen: Rainer Werner Fassbinder. "Der war ein großer Fan von mir. Ich hab ihn mal in Berlin an einem kleinen Zeitungskiosk des Hotels Schweizerhof getroffen. Da guckt er an mir hoch und sagt: ,Das gibt's ja nicht! Dieter Thomas Heck! Soll ich Ihnen mal was sagen, mein Junge? Sie machen das fabelhaft!' Die Hitparade war für ihn eine Pflichtsendung. Wegen der Trends. Modisch und musikalisch. Das war sehr interessant. Ja, das war ein toller Mann. Ich hab den sehr gemocht, den Fassbinder!"

"Es gibt für jeden Menschen eine Waschanleitung"

Heck moderierte die "Hitparade" bis 1984, außerdem das Quiz "Die Pyramide", und Shows wie "Melodien für Millionen". 2007 nahm er seinen offiziellen Abschied. Jetzt werden die Hecks von ihrem Haus im spanischen Aguilas nur noch für besondere Anlässe eingeflogen - immer im Doppelpack. Ragnhild ist Hecks zweite Ehefrau, und in ihrem Turteltaubentechtelmechtel scheinen sie ein entwaffnender, wenn auch etwas irritierender Beweis für den Wahrheitsgehalt jeder deutschen Schlagerzeile: "Ich bin verliebt in die Liebe" (Chris Roberts, 1970), "Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben" (Jürgen Marcus, 1972). "Er gehört zu mir" (Marianne Rosenberg, 1975) – man könnte ewig so weitermachen.

Ragnhild ist heilfroh, dass ihr Mann endlich ein paar Gänge runterschaltet. Schrecklich ungeduldig sei er, und außerdem plagt ihn ein geradezu pathologisches Lampenfieber. Die Zeitschrift "Hörzu" lies vor einer "Hitparade" mal Herz und Puls testen: Heck hatte die Werte eines Fallschirmspringers vor seinem ersten Sprung. "Das kann mir niemand bezahlen, was ich da immer durchmache", sagt Ragnhild Heck. "Und es wird immer schlimmer! Schatz, wir müssen Deine Auftritte wirklich extrem reduzieren. Nur noch für ganz wichtige Geschichten. Das ist wirklich ein Alptraum!" "Jaja, mein Mäuschen. Aber sonst bin ich so lieb." "Das ist richtig, mein Schätzlein, aber eine Woche vor Auftritten…"

Als Dieter Thomas Heck kurz ins Hotelzimmer verschwindet, sagt seine Frau: "Es gibt für jeden Menschen eine Waschanleitung. Der eine hat vielleicht fünf Dinge, die man beachten muss, der andere zehn. Aber wenn man die befolgt, dann läuft da nichts ein und nichts wird kratzig." Bevor man sie fragen kann, ob ihr Mann in die Kochwäsche kann oder das Wolle-Feinprogramm benötigt, kommt er zurück. Sehr gut gepflegt wirkt er, geradezu flauschig. Wie das ZDF.